Neuerscheinung: Warten auf die Pandemie. Von Carlo Caduff
1. Mai 2017
Ethnographie einer Katastrophe, die nie stattfand
Aus dem Amerikanischen von Marc Dosch
Paderborn: Konstanz University Press 2017
(ethno|graphien, 3)
Zitation
In den vergangenen Jahren warnten Experten immer wieder vor verheerenden Grippeepidemien. Nicht vor einem leichten Schnupfen oder der saisonal auftretenden Influenza, die alljährlich für den Tod von bis zu 30.000 Menschen allein in Deutschland verantwortlich gemacht wird, sondern vor einer viel gravierenderen Pandemie, die weltweit Millionen von Menschen dahinraffen könnte. Aus solchen Prognosen und Warnungen wird stets ein dringender Handlungsbedarf abgeleitet. Ohne umfassende Vorsichtsmaßnahmen könnte eine solche Krankheit die gesamte Wirtschaft lahmlegen und eine Kettenreaktion auslösen, die über Nacht die Welt verändern würde.
Was bedeutet es aber, wenn der Erreger einer Krankheit vorwiegend im Modus der Ankündigung zirkuliert? Warten auf die Pandemie erzählt, was geschah, als nichts geschah. Das Buch von Carlo Caduff zeigt, wie im Wechselspiel von Wissenschaft, Gesundheitsverbänden und Öffentlichkeit die Akteure und die Institutionen durch die Zirkulation dramatischer Untergangsszenarien eine Drohkulisse aufbauten, die äußerst produktiv war. Obwohl das prognostizierte Unheil gar nicht eintrat, erzeugten die Krisenszenarien und Untergangserzählungen ein tiefes Gefühl der Verunsicherung. Dass die tödliche Krankheit ausblieb, die verheerende Epidemie sich doch nicht ausbreiten konnte, führte nämlich gerade nicht dazu, dass man die Bemühungen um ihre Bekämpfung eingestellt hätte. Vielmehr wurden die Vorbereitungen auf ihren Ausbruch zu einer staatlichen Daueraufgabe. Die Schreckensszenarien einer globalen Seuche bleiben im öffentlichen Bewusstsein und verändern so die Welt, in der wir leben. (Verlag)
Prof. Dr. Carlo Caduff lehrt im Bereich der Sozialwissenschaften am King's College in London. Er forscht über die globale Gesundheit im Zusammenhang mit einer Anthropologie der Medizin, der Wissenschaften, der Medien und des Staates.
Über die Reihe
Die Reihe „Ethnographien“ wird herausgegeben von Thomas G. Kirsch, Michael Neumann, Dorothea E. Schulz und Marcus Twellmann.
Die „Ethnographien“ verstehen sich als Forum einer philosophy out of doors (Tim Ingold), die dort, wo sie gelingt, Wahrnehmung und Erfahrung von Wirklichkeit mit ergebnisoffener Begriffsarbeit verbindet. Angesichts einer Gegenwart, die sich den hergebrachten Theorien und Methoden kaum mehr erschließt, ist diese Form der Erkundung und Darstellung an der Tagesordnung. Die Reihe versammelt vor allem international renommierte Ethnographien in deutscher Erstübersetzung.
„In der Beschäftigung mit ethnographischen Darstellungen sind neuartige, vielfach überraschende Einsichten in Prozesse der Formierung von Sozialität und in unterschiedliche Erscheinungsformen kultureller Alterität zu gewinnen; diesem Ziel verschreibt sich die Reihe.
Die Reihe „Ethnographien“ soll ein Ort sein, an dem sich anschauliche ethnographische Narration und avancierte Theorie verbinden. Sie soll ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die erzählerische Sichtbarmachung sozialer Ordnungen und kultureller Zusammenhänge unabdingbar für unser Verständnis einer Welt weitreichender Verflechtungen ist.“ (die Herausgeber/innen)